Rebekka Bauer
Die Aufstellung
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Die Aufstellung
Installation aus 500 Metallobjekten und Fotografien aus dem Familiennachlass der Künstlerin, Maße variabel (seit 2020)
Ausstellungsansicht Schafhof - Europäisches Kunstforum Oberbayern, 2023
Ausstelllungsansichten: choreo

Rebekka Bauers Mixed-Media-Installation Die Aufstellung (seit 2020) bringt Hunderte selbstgefertigte Metallobjekte aus dem Nachlass ihres Großvaters und eine Sammlung privater Fotografien aus der Zeit des Nationalsozialismus mit Familienfotos aus unterschiedlichen Jahrzehnten zusammen. Die Aufstellung ist eine sich je nach Ausstellungskontext verändernde Versuchsanordnung, mit der die Künstlerin sich zu der historisch und psychologisch komplexen Hinterlassenschaft ihres Großvaters in Beziehung setzt. Durch Verfahren der Positionierung und Montage sucht die Installation nach Hinweisen, wie sich unverarbeitete (Gewalt-)Geschichte durch Familienbiografien zieht und wie sie auf Körper und Beziehungen einwirkt. (Anna Voswinckel)

Christina Natlacen: Die Aufstellung. Neuordnungen eines Familienarchivs

Der Nachlass des eigenen Großvaters ist Ausgangspunkt für Rebekka Bauers Arbeit Die Aufstellung, eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der eigenen Familiengeschichte. 547 Metallobjekte, die der Verwandte in einer im Keller seines Hauses befindlichen Werkstätte Zeit seines Lebens angefertigt hatte und die nach außen hin die Funktion eines Kerzenhalters einnehmen, treten in Interaktion mit Fotografien aus dem privaten Familienbesitz, die zwei unterschiedliche Bestände umfassen: einerseits Fotografien, die von Soldaten der Wehrmacht stammen und vom Großvater in einem Umschlag im Geheimen aufbewahrt wurden, andererseits ausgewählte Familienfotos, die hauptsächlich von den weiblichen Familienmitgliedern angefertigt sowie archiviert wurden und die offizielle Familiengeschichte in drei Generationen dokumentieren. Es greift jedoch zu kurz, Die Aufstellung allein als Artistic Research über die Kriegsereignisse der NS-Zeit und das ab den 1950er Jahren folgende Wirtschaftswunder zu lesen, das sich an den privaten Fotografien ablesen lässt. Vielmehr zielt Rebekka Bauers Arbeit darauf ab, dass das gezeigte Material aus seinem historischen Kontext herausgelöst wird und einem neuen Blick aus der aktuellen Gegenwart standhält. Als Künstlerin und Vertreterin der Enkel-Generation leitet sie eine Neuordnung des visuellen Nachlasses ein, die über die konkreten Gegenstände hinausreicht und allgemeine Fragen nach dem Fortwirken von historischen Bildern stellt. Wie geht man mit dem Material aus dem ehemaligen Besitz eines Familienmitglieds, das sich selbst nie dazu geäußert hat, um? Was geschieht, wenn einst private Bilder und Objekte nachträglich einer Öffentlichkeit zugeführt werden? Welches Wissen können Betrachterinnen und Betrachter aus ihnen außerhalb des ursprünglichen individuellen und familiären Rezeptionsrahmens herauslesen? Rebekka Bauers vielschichtige Aufarbeitung des Familienarchivs versteht sich vor allem auch als Reflexion über das Nachleben von Bildern, die nur mehr rudimentär in ihrem ursprünglichen Kontext verhaftet sind und die dadurch eine Offenheit für neue Sinnzuschreibungen in sich tragen.

Die drei familiär überlieferten Bestände, deren Objekte und Bilder Teil der künstlerischen Arbeit Die Aufstellung geworden sind, zeichnen sich durch jeweils unterschiedliche spezifische Eigenschaften aus. Die 547 Objekte, die eher behelfsmäßig als Kerzenhalter bezeichnet werden können, stellen den konkreten Ausdruck einer bastlerischen Leidenschaft des Großvaters dar. Der gelernte Schlosser setzte sie aus gefundenen Metallteilen in der Art einer Assemblage zusammen. Nicht von ungefähr erinnern sie an Skulpturen, wie sie auch von der Art Brut bekannt sind. Aus ihnen spricht eine Obsession für das Material, zudem legen sie Zeugnis ab von einem Prozess des Gestaltens, der eine einmal gefundene Form auf immer wieder neue Weise variiert. In Hinblick auf ihren Entstehungskontext und ursprünglichen Aufbewahrungsort in der Kellerwerkstätte können sie als individuelle Mythologie bezeichnet werden. Denn es gibt einen offensichtlichen Bezug zur Figur des Großvaters als Träger einer Biografie, die aus seiner Zeit als Wehrmachtssoldat herrührt – auch wenn diese nach außen nie klar kommuniziert wurde. Durch die enge Verbindung der Gegenstände zu ihrem Hersteller ist der eigentliche Sinn ihrer Existenz jedoch mit dessen Tod verlorengegangen. Darüber hinaus ändert sich ihre Bestimmung durch den von der Künstlerin vorgenommenen Transfer in den Kunstkontext – sei es als reale Objekte in den Ausstellungsraum oder als Reproduktionen in künstlerische Publikationen. Losgelöst von der Aura ihrer originären Heimstätte rückt nun der ästhetische Aspekt der plastischen Bildwerke in den Vordergrund. Je nach Präsentationsform und Interesse des Publikums kann der Blick entweder auf individuelle Ausprägungen der Objekte oder auf gemeinsame typische Merkmale gelenkt werden. Die im Grunde funktionslosen Gegenstände, die jeder sinnfälligen Verwertungslogik trotzen, bekommen damit eine neue und in dieser Weise vom Urheber selbst nie angedachte Daseinsberechtigung.

Im Gegensatz zu den rätselhaften Metallobjekten schreiben sich die ebenfalls aus dem Besitz des Großvaters überlieferten Fotos aus der Zeit seines Dienstes als Wehrmachtssoldat in eine Klassifikation als historische Dokumente ein. Private Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg wurden erstmals in den 1990er Jahren in größerem Ausmaß der Forschung zugeführt, nicht ohne dass es im Zuge der beiden Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung zu hitzigen Diskussionen über den Wahrheitsgehalt der Bilder kam. In der Fotografie-Forschung wurde insbesondere von der Kunsthistorikerin Petra Bopp die Chance ergriffen, die Autoren und Besitzer selbst Auskunft über die in Alben eingeklebten Bilder geben zu lassen. Sie konnte nachweisen, dass die privaten Fotoalben eine wichtige Erinnerungsfunktion für die erste Generation hatten, auch wenn gleichzeitig viele nicht-aufgearbeitete Emotionen und Konflikte damit verbunden waren. Zahlreiche ihrer in der aus dem Jahr 2009 stammenden Publikation mit dem Titel Fremde im Visier dargelegten Beispiele machen jedoch deutlich, dass die Fotografien in vielen Fällen von Dritten nicht wahrheitsgetreu gelesen werden können – mitunter tragen auch eigenhändig angebrachte Bildlegenden nichts dazu bei. Allerdings sieht sie in diesem Informationsdefizit auch eine Chance: „Die Differenz zwischen den Blicken der fotografierenden Soldaten und dem forschenden Blick heute ermöglicht neue, andere Interpretationen des Fotos als deutungsfähiges Medium.“ (S. 157). Genau in diese Kerbe schlägt auch Rebekka Bauer, wenn sie die Wehrmachtsfotos einer eigenen künstlerischen Bearbeitung unterzieht. Ihre Taktik liegt in Vergrößerungen von Details, die sie aus der Fotografie herauslöst und in eine neue Bildrealität überführt. Dadurch findet eine Blicklenkung statt, die in zweierlei Hinsicht der historischen Wahrheit – sofern man überhaupt der Meinung ist, dass es eine solche gibt – entgegentritt: Auf der einen Seite findet eine Dekontextualisierung des Bildinhalts statt, auf der anderen Seite wird die Materialität des Mediums betont, da Gebrauchsspuren wie Kratzer an der Oberfläche deutlich hervortreten. Das fotografische Bild haftet damit nicht mehr unwiderruflich an seinem Referenten, wie man es in der Fototheorie in Anlehnung an Roland Barthes gerne bezeichnet, sondern erlangt eine neue Wirklichkeit, als deren Referent man nun den Akt der nachträglichen Betrachtung und der daraus resultierenden Vergrößerung von ausgewählten Bildelementen definieren kann.

Beim dritten Element von Die Aufstellung handelt es sich um private Fotografien, wie sie in den meisten Familien zu einer bestimmten Zeit auftreten und retrospektiv als prägend für eine Epoche angesehen werden. Beginnend mit dem noch im Atelier hergestellten Hochzeitsbild der Großeltern über Knipserfotos vom gemeinsamen Miteinander in Haus, Garten und bei Ausflügen bis hin zu Aufnahmen feierlicher Riten wie der Taufe des neugeborenen Kindes – Fotografien dieser Art spielen eine wichtige Rolle für die Konstruktion und den Zusammenhalt der Familie und werden auch vorrangig in diesem Kreis rezipiert. Sie sind mit Erinnerungen aufgeladen und in eine bestimmte Erzählung eingebettet, deren Narrative nur die Betroffenen selbst kennen. Das materielle Bild spielt dabei eine begrenzte Rolle, vielmehr gilt es von ihm ausgehend die Entstehungs- und Gebrauchsweisen der privaten Fotografien zu berücksichtigen, die sich in das Familienleben einbetten. In Bezug auf die Arbeit mit den Familienfotografien in Die Aufstellung liegt die eigentliche künstlerische Geste in der präzisen Auswahl der Bilder. Rebekka Bauer dupliziert dadurch den vorhergegangenen fotografischen Akt, der ebenfalls bereits einen Schnitt in Raum und Zeit im Vorgang des Festhaltens eines ausgewählten Moments bedeutete. Die Auswahl geschieht vor der Folie der genau studierten und analysierten Kriegsfotos, allerdings nicht nach historischen oder wissenschaftlichen Kriterien, sondern vielmehr in Form eines künstlerischen Denkens, das Analogien, Gegensätzen sowie Metaphern breiten Raum lässt.

Rebekka Bauers Verfahren, das Metallobjekte aus dem Nachlass ihres Großvaters, historisches Bildmaterial aus der NS-Zeit und Privatfotos ihrer Familie miteinander in Beziehung setzt, versteht sich nicht vorrangig als historische Recherche und Aufarbeitung der Vergangenheit. Vielmehr zielt es darauf ab, Bruchstücke der Geschichte in die Gegenwart einzubringen, um ihnen eine möglicherweise neue Bedeutung abzuringen. Der Gedanke, dass gewisse Bilder zu einer späteren Zeit wieder an die Oberfläche drängen und erst dann zu einer Lesbarkeit kommen, wurde von Walter Benjamin in seinem Fragment gebliebenen Opus Magnum Das Passagen-Werk, an dem er zwischen 1927 und seinem Tod 1940 arbeitete, ausgeführt. Im sogenannten ‚dialektischen Bild‘ verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart zu einer zeitlosen Einheit, in der die Wahrheit zum Vorschein kommt: „[…] Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt.“ (S. 576). Das Aufeinanderprallen von Elementen aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten hat immer zum Ziel, eine große Wirkung auf die Betrachterinnen und Betrachter auszuüben: Das dialektische Bild zeigt sich genau dann, wenn es infolge eines Schocks zu einer Stillstellung der Gedanken kommt. Walter Benjamin bezeichnet sein Modell der Konstruktion und Aktualisierung der historischen Vergangenheit als Montage – ein Begriff, der auch im Zentrum von Rebekka Bauers künstlerischer Herangehensweise steht. Durch ihre Nähe zum Medium Film, in dem die Montage eines der essenziellsten Gestaltungs- und Ausdrucksmittel darstellt, sind ihr deren Möglichkeiten nur allzu bewusst. Bilder können nebeneinander existieren, sich gegenseitig verstärken oder sich widersprechen – auf jeden Fall stehen sie immer in einem wechselseitigen Verhältnis der Abhängigkeit zueinander. Die Arbeit Die Aufstellung macht deutlich, dass das subjektive Aneinanderfügen von Fragmenten aus der Vergangenheit und der Gegenwart immer im Bewusstsein um die Lücken, Ambivalenzen und Brüchigkeiten erfolgen muss. Erst durch das Zulassen dieser Leerstellen und Uneindeutigkeiten können die Objekte und Bilder im Heute zum Sprechen gebracht werden.